Die St. Sebastianuskapelle in der Abteistraße
Nach dem Ende der Pest dem hl. Sebastian und dem hl. Rochus geweiht (1670)
Regelmäßige Gottesdienste werden in Sayn nicht nur in der Abteikirche gefeiert, sondern auch in der Schlosskapelle und in der dem hl. Sebastian geweihten Kapelle an dem kleinen Platz in der Abteistraße, in dessen Mitte ein haushohes, schmales, mit einem Schieferdach geschütztes Holzkreuz emporragt. Die gegen den Giebel des ehemaligen Gemeindehauses gelehnte Kapelle wurde von der Gemeinde Sayn errichtet, um ein Gelöbnis während der Pest der 1660er Jahre zu erfüllen.
Am 29. August 1664 warnte Kurfürst Karl Kaspar von der Leyen die Bevölkerung von Koblenz davor, Personen aus bereits infizierten Orten in ihrer Stadt aufzunehmen. Im August 1665 wurde der erste Fall von Pest in Köln bekannt; zwei Monate darauf kam ein Mann von Trier nach Ehrenbreitstein, wo er unter Symptomen starb, die auf den „Schwarzen Tod“ hindeuteten. Koblenz und Umgebung wurden in Aufregung und Schrecken versetzt. Die Menschen nahmen ihre Zuflucht zu Gebet und Bußübungen. Man versuchte, sich gegen Orte, in denn man die Pest vermutete, abzuschirmen. Eine sonst ungewohnte Tendenz zur Reinlichkeit war zu beobachten. Ähnlich wie die Maßnahmen, die in den Koblenzer Ratsprotokollen[1] aufgezeichnet sind, mögen die Bemühungen, die Pest zu bekämpfen, in der Umgebung gewesen sein.
In Sayn war der Prämonstratenser Tilman Baldems aus der dortigen Abtei Pfarrer. Als Seelsorger blieb er bei seiner Pfarrgemeinde, während die andern Mitglieder seines Konventes den von der Pest heimgesuchten Ort mieden. In Bendorf wirkte der Sayner Prämonstratenser Willibrord Römer unter den Kranken.[2] In der mündlichen Überlieferung heißt es, in dem noch erhaltenen Bildstock an der Abteistraße, der damals außerhalb der Ortsbefestigung, auf halbem Wege zur Abtei, lag, seine täglich Hostien abgelegt worden, die Baldems abholte, um die heilige Messe zu feiern. Dieser wurde schließlich selbst von der verheerenden Seuche angesteckt. Als er merkte, dass er sterben müsse, bat er die Bürger von Sayn, an dem Ort, an dem in der Notzeit die heilige Messe gefeiert wurde, ein Kreuz zu errichten. Die Einwohner wollten jedoch mehr tun und meinten, eine Kapelle sei eher angemessen.[3]
Auch in Koblenz fasste man nach dem Ende der Pest einen solchen Entschluss. Wie dort wollte man durch eine Votivkapelle dem hl. Sebastian und dem hl. Rochus für ihre Fürsorge um die Beendigung der Pest danken. Weihbischof Johannes Holler (1664-16671)[4] befand sich auf einer Visitationsreise im Mittelrheingebiet, als er beide Kapellen weihte, die Koblenzer am 19. Juni 1670, die Sayner Kapelle wenige Wochen später, am 22. Juli 1670. Die Koblenzer Kapelle war mit der ehemaligen Franziskanerkirche verbunden, wurde aber 1802 abgerissen. Der kleinere Bau in Sayn blieb bestehen. Holler weihte den Altar der hl. Jungfrau Maria und den Schutzpatronen Sebastian und Rochus. Dem Altarstein gab er Reliquien der Martyrer der thebäischen Legion aus Trier bei. Eine erhalten gebliebene Inschrift gibt uns darüber Nachricht.[5] Nach der Überlieferung wurden die Opfer der Pest auf dem Platz vor der Kapelle begraben. Man spricht von 100 Pesttoten, deren letzter Tilman Baldems gewesen sei. 1783 wurde an dieser Stelle ein Missionskreuz errichte, das noch bis ins 20. Jahrhundert eine Tafel mit der Aufschrift trug: „Gekreuzigter Herr Jesu, erbarme dich unser und aller hier Ruhenden.“ Wohl so ist es gekommen, dass Kapelle und Kreuz als zusammengehörig angesehen werden. In der Bevölkerung spricht man deshalb vom „Pestkreuz“.[6]
Bis 1983 oblag die Unterhaltung der Kapelle der Stadt Bendorf bzw. vorher der Gemeinde Sayn. Einige Jahre lang feierte die Nachbarschaft das „Kreuzfest“, das sich in Sayn großer Beliebtheit erfreute und dessen Erlös zur Renovierung des Kreuzes bestimmt war. Die Stadt Bendorf, Eigentümerin des Platzes und damit des Kreuzes, begrüßte die Bürgerinitiative und stellte den fehlenden Betrag aus Haushaltsmitteln zur Verfügung. Einige Nachbarn legten bei den handwerklichen Arbeiten mit Hand an.
Die Kapelle musste von der Gemeinde über einen von der Kirchengemeinde verwalteten Stiftungsfonds unterhalten werden, der allerdings bei der Inflation 1923 verloren ging. Als 1980 das Konventsgebäude, die ehemalige Schule, an die Pfarrgemeinde Sayn übertragen wurde, gehörte zu den Vertragsbedingungen u. a., dass die Unterhaltsverpflichtung für die St. Sebastianuskapelle an die Kirchengemeinde überging.[7]
Die letzte große Renovierung/Restaurierung wurde 1998 begonnen und erstreckte sich, weil man über den Baumaßnahmen immer wieder zusätzliche Schäden an Mauerwerk, Decke und Dachstuhl entdeckte, über mehrere Jahre. Trotz hoher Zuschüsse des Bistums Trier hätte die Kirchengemeinde die Kosten nicht aufbringen können. Der Förderkreis Abtei Sayn kam – vor allem durch eine hohe zweckgebundene Spende eines Mitglieds - zu Hilfe. So konnte dieses wichtige Denkmal erhalten bleiben. Jede Woche wird einmal darin Gottesdienst gefeiert.
[1] Schüller Andreas: Die letzte Pest in Koblenz 166-68, in: Bellinghausen, Hans (Hrsg.): Alt-Koblenz. Eine Sammlung geschichtlicher Abhandlungen, Koblenz 1929, S. 193-216.
[2] Loecher, Georg: Aus der Chronik von Sayn, Bendorf o. J., S. 7
[3] Reiffenberg, Johann Philipp: Antiquitates Saynenses 1684 collectae, Aachen und Leipzig 1830, S. 35f.
[4] Zur Person und zum Wirken des Weihbischofs J. Holler siehe Seibrich, Wolfgang: Die Weihbischöfe des Bistums Trier, Trier 1998, S.103-107.
[5] Pfarrarchiv Sayn Nr. 0250 (Der Inhalt ist hier anschließend wiedergegeben.)
[6] vergl. Anm. 2, S. 6
[7] Pfarrarchiv Sayn Nr. 0625
Dem Altarstein ist ein kleines Marienbild mit Inschrift beigegeben
Text der Inschrift, die den Reliquien der thebäischen Märtyrer bei der Weihe des Altars durch Weihbischof Johannes Holler am 22. Juli 1770 beigegeben wurde:
Vorderseite: consueto concessi. (Ich habe in gewohnter Weise erlaubt)
Rückseite: Anno MDCXX die 22 Julii /Ego Joannes Ep(iscop)us Azoten(sis) conse- / cravi Altare hoc in honorem B(eatae) / Mariae V(irginis) et S(anctorum) Sebastiani et / Rochi et Reliq(ui)as S(anctorum) Thebaeorum / Martyr(rum) Tre(vir)ensium in eo inclusi / et Singulis Christi fidelibus hodie / unu(m) annum, et in die anniversarii / consecrationis huius ipsum visitantibus / 40 dies de vera indulg(entia) …
(= Im Jahre 1670 habe ich, Johannes Bischof von Azot, am 22. Juli diesen Altar der heiligen Jungfrau Maria und den heiligen Märtyrern Sebastian und Rochus geweiht und in ihm Reliquien der thebäischen Märtyrer aus Trier eingeschlossen und gewähre den einzelnen Christgläubigen, die heute diesen (Ort) besuchen, ein Jahr, die ihn am Jahrestag der Weihe besuchen, vierzig Tage Ablass…)
an der Wand hinter dem Altar:
hl. Sebastian und hl. Rochus; Aufsatz vom ehemaligen barocken Hauptaltar der Abteikirche mit Wappen der Stifterfamilie Reiffenberg.
(Text: Dietrich Schabow)
Pfarrarchiv Sayn, Nr. 0250
Weihe der Sankt-Sebastianus-Kapelle in der Abteistraße
Text einer Inschrift, die den Reliquien der thebäischen Märtyrer bei der Weihe des Altars
durch Weihbischof Johannes Holler am 22. Juli 1770 beigegeben wurde:
Vorderseite: consueto concessi. (Ich habe in gewohnter Weise erlaubt)
Rückseite: Anno MDCXX die 22 Julii
Ego Joannes Ep(iscop)us Azoten(sis) consecravi Altare hoc in honorem B(eatae)
Mariae V(irginis) et S(anctorum) Sebastiani et Rochi et Reliq(ui)as S(anctorum)
Thebaeorum Martyr(rum) Tre(vir)ensium in eo inclusi et Singulis Christi fidelibus
hodie unu(m) annum, et in die anniversarii consecrationis huius ipsum visitantibus
40 dies de vera indulg(entia) in fori Ecclesiae
(Im Jahre 1670 habe ich, Johannes Bischof von Azot, am 22. Juli diesen Altar der heiligen Jungfrau Maria und den heiligen Märtyrern Sebastian und Rochus geweiht und in ihm Reliquien der Thebäischen Märtyrer aus Trier eingeschlossen und gewähre den einzelnen Christgläubigen, die heute diesen (Ort) besuchen, ein Jahr, die ihn am Jahrestag der Weihe besuchen, vierzig Tage Ablass…)