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1. Ausgabe 2016 (August) Nummer 72

Der nachstehende Text steht zum Download bereit.

                     Ein Collier für den Bau von Sacré Coeur

                            Zum 200. Geburtstag der Fürstin Leonilla

Am 9. Mai 1816 wurde Fürstin Leonilla zu Sayn-Wittgenstein in Moskau geboren. Aus Anlass ihres 200. Geburtstages ehrte sie die Rhein-Zeitung in einem großen Artikel. Ihr Mann, Fürst Ludwig, geboren 1799 im litauischen Kaunas, das damals zu Russland gehörte, starb am 20. Juni 1866 in Cannes. Zu seinem 150. Todestag wurde auch ihm eine ausführliche Darstellung ge­widmet. Unter der Überschrift „Der Mann, der die Sayns nach Sayn zurück­brachte" stellte Frau Dr. Sauer-Kaulbach dar, wie der Fürst, Sohn des

Russischen Feldmarschalls L. A. Peter zu Sayn-Wittgenstein, 1848 mit seiner Familie Russland verließ, um sich in Sayn, der Heimat seiner Vor­fahren, niederzulassen. Das Fürstenpaar ließ das barocke reiffenbergisch/ boosische Landhaus zu einem neugotischen Schloss umbauen, von dem der spätere Kaiser Wilhelm I. bei einem Besuch 1857 begeistert sagte: „Wirk­lich, es ist ein rechtes Märchenschloss!"

Nicht lange nach dem Tode ihres Mannes entschloss sich Fürstin Leonilla. in Ouchy hei Lausanne am Genfer See dauernden Wohnsitz zu nehmen. „wo sie bis zu ihrem Tode 1918 lebte, geistig und körperlich frisch und rege und für alle politischen und kulturellen Vorgänge interessiert" . Ihrem Haus gab sie den Namen „Mon abri". Dies bedeutet „Mein Schutzdach".

Einer der Gründe, Sayn zu verlassen, war wohl, dass sie mit der Poli­tik Bismarcks nicht einverstanden war und sich zusammen mit der be­freundeten preußischen Königin Augusta vergeblich für Frieden und Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich eingesetzt hatte. Als die Fürstin 1918 im Alter von fast 102 Jahren in Ouchy starb, waren einhundert Jahre europäischer Geschichte an ihr vorübergegangen. Sie hatte Revolutionen und Kriege sowie den Aufstieg und den Niedergang des deutschen Kaiserreiches erlebt, ein Jahr vor ihrem Tode auch noch die russische Oktoberrevolution von 1917, die die Mitglieder ihrer Familie, die noch in Russland geblieben waren, heimatlos machte. Am 4. Februar 1918 wurde die Fürstin in einem sehr feierlichen Gottesdienst in der reich geschmückten, von ihr gestifteten Kirche von Ouchy beigesetzt. Es war nur ein provisorisches Grab unter dem St.-Ludwigs-Altar.

Dort sollte sie ruhen und ,,warten, bis die Umstände es ermöglichten, sie ins Schloss Sayn, an die Ufer des Rheins, zu überführen". Man wollte also das Ende des Weltkrieges abwarten. Erst im November 1922 wurde die Fürstin in der Krypta des Sayner Schlosses, gegenüber dem Sarkophag ihres Mannes, beigesetzt.

Der Zufall wollte es, dass über eine Versteigerung im Internet eine Postkarte mit Datums¬stempel nach Sayn gelangte, die Emmanuel Dupraz, der Pfarrer von Ouchy, nach der Beisetzung am 9. November 1922 nach Hause, in die Schweiz, schickte. Die Karte enthält folgenden Text: „Ich habe so viele interessante Dinge gesehen, dass ich nicht weiß, was ich darüber sagen soll. Dennoch das Folgende: zwei riesige Bilder, davon stellt das eine, von Horace Vernet gemalt, die Fürstin in natürlicher Größe und mit mittelalterlicher Kleidung dar; das andere, von Winterhalter gemalt, zeigt die Fürstin auf einem Diwan liegend vor einer wundervollen Landschaft.

Auf diesem letzten Bild trägt sie die Perlenkette, mit der unsere Kirche gebaut wurde. Am Morgen wur¬de ihr Leichnam in einen sehr schönen Sarkophag gelegt, der mit einer plastischen Darstellung des Todes Mariens geschmückt ist." -- Die Bild¬seite der Postkarte erklärt die abgebildeten Gebäude, das Schloss und die Sayner Burgen. Ein Kreuzchen bezeichnet „die Kapelle, in deren Krypta die Fürstin ruht". Pfarrer Dupraz fährt fort: „Ich bedaure, Sayn nicht früher gekannt zu haben." (Übersetzung aus dem Französischen)

 

Fürstin Leonilla ließ 1862/63 die jetzige Kapelle des Sayner Schlosses erbauen. Aber nicht nur dies: Der Abteikirche schenkte sie u.a. mehrere große Chorfenster mit Glasmalereien sowie einen Altar zu Ehren des Mär¬tyrers Pius. Außerdem stiftete sie ein Kloster gegenüber dem Schloss, in der Abteistraße. Die dorthin gerufenen Schwestern vom Orden der Armen Dienstmägde Jesu Christi widmeten sich der Krankenpflege, standen den Sterbenden bei und übten christliche Nächstenliebe, wo sich Gelegenheit bot. Sie erteilten jungen Frauen Handarbeitsunterricht, nahmen Kranke in ihr Haus auf. 1883, als die Fürstin schon in der Schweiz wohnte, sorgte sie für einen Neubau des Klosters, des roten Backsteingebäudes, das schräg gegenüber dem Schloss steht. Über dem Eingang steht der Name „Leonillastiftung". Das Kloster in der Abteistraße war ein sehr frühes Vorbild für die jetzigen Sozialstationen unseres Landes. 1965 musste das Haus wegen Schwesternmangels geschlossen werden.

1876. also nur wenige Jahre, nachdem sie sich in Ouchy niedergelassen hatte, ließ sie dort auf ihrem Privatgelände eine Kapelle in byzantinisch/ neuromanischem Stil errichten. 1912 wurde diese zur Pfarrkirche Sacré Coeur, zunächst noch als Filiale von Lausanne, bis sie 1916 mit Erlaubnis des Staatsrates des Kantons Vaud (Waadt) einen eigenen Pfarrer und den Status einer selbständigen Pfarrei erhielt. Fürstin Leonilla hat dies also noch erlebt. Im April 2016 beging die Pfarrei festlich ihr 100-jähriges Bestehen. Die neue Homepage der Pfarrgemeinde Sacré Coeur (www. sacrecoeur.ch) gedenkt auch ihrer Stifterin Fürstin Leonilla.

Der Text der o.g. Postkarte hebt besonders das heute bekannteste Porträt der Fürstin hervor, das 1843 von Franz Xaver Winterhalter (1805-1873) in Paris mit Öl auf Leinwand (142,2 cm x 212,1 cm) gemalt wurde. Zwischen 1830 und 1870 war es für fast alle Adelshöfe Europas selbstverständlich, dass man sich von diesem Künstler porträtieren ließ. So tat es auch die 27-jährige Fürstin, die wegen ihrer Schönheit und ihrer Klugheit bekannt war. Das Bild schenkte sie ihrem Mann. Wie die Postkarte beweist, hing es 1922 noch in Schloss Sayn. Später kam es in die Münchner Neue Pinakothek als Leihgabe der Familie. Dort blieb es bis 1985, als das J. Paul Getty Museum, Los Angeles es für seine Abteilung in Malibu erwarb. Dieser neue Standort hat Franz Xaver Winterhalters Porträt der Fürstin zu Sayn-Wittgenstein-Sayn – nicht zuletzt durch das Internet – weltberühmt ge¬macht. In Schloss Sayn hängt im Restaurant eine Kopie des Bildes.
Das Collier, das die Fürstin um den Hals trägt, war ein Geschenk ihres Gat¬ten aus Anlass der Geburt ihres zweiten Sohnes, Ludwig. Dass sie sich von dem Schmuckstück trennte, um die Kirche in Ouchy bauen zu lassen, hatte sie wohl dem Pfarrer als Geheimnis anvertraut. Er machte dieses erst kurz nach ihrem Tod in einer Schrift, deren Erlös der Vergrößerung der Kirche Sacré Coeur dienen sollte, bekannt.


Anmerkungen
1 Franz Prinz zu Sayn¬Wittgenstein: Die Wittgenstein, München 1979, S. 168.
2 Emmanucl-Stanislas Dupraz: La Princesse Léonille de Sayn-Wittgen¬stein, Fribourg 1918, S. 62.
3 Vergl.: Franz Hermann Kemp: Das Leonillastift. In: Sayn Ort und Fiirtsen¬haus, Bendorf-Sayn 1979, S.169-171.


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